Philosophie in Blog vs. Wiki
Nachdem ich mich ja statt mit der hehren Philosophie eher mit den Möglichkeiten verschiedener Medien ganz praktisch beschäftige, hat mich natürlich brennend interessiert, wie der Counterpart von mymspros wunderbarer liebevoller Walter Benjamin-Kritik im Wiki aussieht. ... Mamma mia:
Bei allem Wandel von Methode und Gegenstand, der in Benjamins œuvre sich dokumentiert, bewahrt es doch seine Kontinuität. Es sucht auf allen Stufen, von der Hegemonie des Allgemeinbegriffs sich zu lösen, der Vergottung des Wesens gegenüber dem Unwesentlichen, des Bleibenden gegenüber dem Vergänglichen und Nichtigen Widerpart zu leisten. Positiv möchte Benjamin dem von der Philosophie immer Vergessenen, dem Unwiederholbaren, intentionslosen Konkreten gerecht werden, es, wo möglich, "retten". Wichtige Einsichten verdanken in Benjamins Denken sich der Kritik vorliegender Theoreme. Im Gegensatz zu dem positivistischen, an den Einzelwissenschaften orientierten Modell von Philosophie opponiert die Benjaminsche der ubiquitären Verdinglichung der Sprache zum bloßen Zeichensystem; ihre Erkenntnistheorie, die wesentlich Sprachphilosophie ist, will das in Begriffen nicht Fixierte, überhaupt begrifflich nicht Fixierbare dennoch einholen. Anders aber auch als die neueren Ontologien, die unabhängig von wissenschaftlicher Verpflichtung zu ausweisbarer Wahrheit das Sein selber ausdenken zu können beanspruchen, ist der Philosophie Benjamins das Bewußtsein wesentlich, daß keine ewigen Wahrheiten sich mehr beschwören lassen: "Entschiedene Abkehr vom Begriffe der 'zeitlosen Wahrheit' ist am Platz. ...
Und hier die Übersetzung von mspro: "... Seine Behauptungen sind so absurd, so völlig unbegründet und abwegig wie Fieberträume, seine Argumente hinken an allen Ecken und Enden, seine Modelle sind so fragil wie Kartenhäuschen, seine vollkommenes Defizit an Begründung schreit zum Himmel, seine Terminologie ist so stringent wie Wasserstoffatome im Orkan, seine Konzepte so Kohärent wie das Licht einer Kerze. Puh.
Benjamin war Metaphysiker und zwar im schlechtesten Wortsinne. Er setzt Gott/Magie/Esoterik immer grundsätzlich an genau jene Stelle, an der eigentlich eine Begründung für seine haarsträubenden Thesen stehen müsste. ... "
Bild: alessio
:-) sic. Ungefähr so wie der Unterschied zwischen Wissenschaft und Leben, Kommunikationswissenschaft und Medien-machen.
Und doch: es ist die gleiche Welt in der beide Autoren leben. Die der Philosophie Walter Benjamins. Und auch mymspro "outet" sich später als tiefer Benjamin-Fan.
So darf Freitag-Abend bloggen öfter sein.
P.S.: Herzlichen Dank an double für den Link.
Bei allem Wandel von Methode und Gegenstand, der in Benjamins œuvre sich dokumentiert, bewahrt es doch seine Kontinuität. Es sucht auf allen Stufen, von der Hegemonie des Allgemeinbegriffs sich zu lösen, der Vergottung des Wesens gegenüber dem Unwesentlichen, des Bleibenden gegenüber dem Vergänglichen und Nichtigen Widerpart zu leisten. Positiv möchte Benjamin dem von der Philosophie immer Vergessenen, dem Unwiederholbaren, intentionslosen Konkreten gerecht werden, es, wo möglich, "retten". Wichtige Einsichten verdanken in Benjamins Denken sich der Kritik vorliegender Theoreme. Im Gegensatz zu dem positivistischen, an den Einzelwissenschaften orientierten Modell von Philosophie opponiert die Benjaminsche der ubiquitären Verdinglichung der Sprache zum bloßen Zeichensystem; ihre Erkenntnistheorie, die wesentlich Sprachphilosophie ist, will das in Begriffen nicht Fixierte, überhaupt begrifflich nicht Fixierbare dennoch einholen. Anders aber auch als die neueren Ontologien, die unabhängig von wissenschaftlicher Verpflichtung zu ausweisbarer Wahrheit das Sein selber ausdenken zu können beanspruchen, ist der Philosophie Benjamins das Bewußtsein wesentlich, daß keine ewigen Wahrheiten sich mehr beschwören lassen: "Entschiedene Abkehr vom Begriffe der 'zeitlosen Wahrheit' ist am Platz. ...
Und hier die Übersetzung von mspro: "... Seine Behauptungen sind so absurd, so völlig unbegründet und abwegig wie Fieberträume, seine Argumente hinken an allen Ecken und Enden, seine Modelle sind so fragil wie Kartenhäuschen, seine vollkommenes Defizit an Begründung schreit zum Himmel, seine Terminologie ist so stringent wie Wasserstoffatome im Orkan, seine Konzepte so Kohärent wie das Licht einer Kerze. Puh.
Benjamin war Metaphysiker und zwar im schlechtesten Wortsinne. Er setzt Gott/Magie/Esoterik immer grundsätzlich an genau jene Stelle, an der eigentlich eine Begründung für seine haarsträubenden Thesen stehen müsste. ... "
Bild: alessio
:-) sic. Ungefähr so wie der Unterschied zwischen Wissenschaft und Leben, Kommunikationswissenschaft und Medien-machen.
Und doch: es ist die gleiche Welt in der beide Autoren leben. Die der Philosophie Walter Benjamins. Und auch mymspro "outet" sich später als tiefer Benjamin-Fan.
So darf Freitag-Abend bloggen öfter sein.
P.S.: Herzlichen Dank an double für den Link.
Webcat72 - 16. Dez, 21:41
9 Kommentare - Mit Webcat reden - 0 Trackbacks
mspro (Gast) - 17. Dez, 13:29
Ah ja, jetzt verstehe ich. Merkwürdige Parallelen. Stimmt.
Man achte vor allem auf die beiden Konklusionen:
"[...]will das in Begriffen nicht Fixierte, überhaupt begrifflich nicht Fixierbare dennoch einholen." (Wiki)
"[...]Benjamin macht das Sprachlose sprechen. Versprochen." (ich)
Witzig. Aber so isser halt der Benjamin. ;-)
Man achte vor allem auf die beiden Konklusionen:
"[...]will das in Begriffen nicht Fixierte, überhaupt begrifflich nicht Fixierbare dennoch einholen." (Wiki)
"[...]Benjamin macht das Sprachlose sprechen. Versprochen." (ich)
Witzig. Aber so isser halt der Benjamin. ;-)
Webcat72 - 17. Dez, 16:28
... kann ich leider nur begrenzt mitreden. Adorno war mehr oder weniger der einzige der Herren, mit denen ich mich an der Uni ein bisschen intensiver befasst habe. Wenn Philosophen sehr in Bildern sprechen wurden sie mir immer ziemlich schnell suspekt. Wobei ich jetzt durch diese Geschichte sehr neugierig geworden bin. Werde mir zu den Mediengeschichten evtl. doch noch Lesestoff besorgen.
Ihr hattet in Deiner Diskussion Probleme mit der "Aura". Die hatte ich allerdings einfach (sekundärliterarisch :-) als das "Rezeptionsumfeld", die Rezeptionsbedingungen verstanden. Da habe ich Euer Problem nicht ganz verstanden !? Es ist schon etwas anderes, ob man den gleichen Film im Kino (Kultur), zu Haus auf dem Fernseher (Masse), oder am Computer als Stream (Fast Food) sieht ... !? Und dem passen sich auch die Inhalte an, was ist prinzipiell für welches Medium geeignet. Umgekehrt nämlich: "Sex in the City" im Kino fänd ich albern, "Hero" im Fernsehen seltsam, nicht !?
Ihr hattet in Deiner Diskussion Probleme mit der "Aura". Die hatte ich allerdings einfach (sekundärliterarisch :-) als das "Rezeptionsumfeld", die Rezeptionsbedingungen verstanden. Da habe ich Euer Problem nicht ganz verstanden !? Es ist schon etwas anderes, ob man den gleichen Film im Kino (Kultur), zu Haus auf dem Fernseher (Masse), oder am Computer als Stream (Fast Food) sieht ... !? Und dem passen sich auch die Inhalte an, was ist prinzipiell für welches Medium geeignet. Umgekehrt nämlich: "Sex in the City" im Kino fänd ich albern, "Hero" im Fernsehen seltsam, nicht !?
mspro (Gast) - 17. Dez, 17:07
Auch ich bin kein "Aura"-Experte. Meine Benjamininteressen sind z.Z. anders gelagert. Dennoch hab auch ich den Kunstwerkaufsatz gelesen. Dort wird die Aura allgemein aus dem ehemaligen "Kultcharakter" des Kunstwerks abgleitet. Insofern stimmt deine Beobachtung, dass die Kontextualisierung eine wichtige Rolle spielt. Aber eben nicht nur. Benjamin denkt die Aura weiter und zwar magisch, mystisch, metaphysisch.
Seine Definition der Aura (wenn man es denn so nennen will), "eine Ferne, so nah das sein mag", lässt sich hervorragend aus seinem Frühwerk herleiten. Auch dort werden immer mal wieder diese mystischen Erfahrungen beschworen und zwar immer als die "eigentlichen" Erfahrungen als eine art „göttlicher Eingebung“. Deswegen ist der von ihm beschriebene Verlust nicht nur positiv konnotiert, eben als revolutionäre Möglichkeit emanzipativer Kunst, sondern geht auch einher mit einer negativen Komponente, welche diesen Verlust als einen Verlust an jener "Eigentlichkeit" der Kunst betrauert, die ihn zeitlebens geprägt hat. Im Kunstwerkaufsatz zeigt sich ein zum zerreißen gespannter Benjamin, gespannt zwischen den beiden Polen der Mystik und des Materialismus, welche miteinander unvereinbar sind. Benjamin selbst war dieser Widerspruch auch durchaus bewusst. Aber ich denke, es ist genau diese Ambivalenz, die die Popularität dieses Textes befördert hat. Man kann sich eben super darüber streiten ;-)
Seine Definition der Aura (wenn man es denn so nennen will), "eine Ferne, so nah das sein mag", lässt sich hervorragend aus seinem Frühwerk herleiten. Auch dort werden immer mal wieder diese mystischen Erfahrungen beschworen und zwar immer als die "eigentlichen" Erfahrungen als eine art „göttlicher Eingebung“. Deswegen ist der von ihm beschriebene Verlust nicht nur positiv konnotiert, eben als revolutionäre Möglichkeit emanzipativer Kunst, sondern geht auch einher mit einer negativen Komponente, welche diesen Verlust als einen Verlust an jener "Eigentlichkeit" der Kunst betrauert, die ihn zeitlebens geprägt hat. Im Kunstwerkaufsatz zeigt sich ein zum zerreißen gespannter Benjamin, gespannt zwischen den beiden Polen der Mystik und des Materialismus, welche miteinander unvereinbar sind. Benjamin selbst war dieser Widerspruch auch durchaus bewusst. Aber ich denke, es ist genau diese Ambivalenz, die die Popularität dieses Textes befördert hat. Man kann sich eben super darüber streiten ;-)
Webcat72 - 17. Dez, 17:15
oh danke, es reicht ja schon, wenn Kunst und Materialismus zusammen kommen, dass es oft grausam wird (ich denke da z.B. an dieses nun abgehängte Bildwerk am "Haus des Volkes" in Dresden ... aua Aura). Wenn Du da noch versuchst, dem Materiellen doch noch etwas angedeutet Mystisches unterzujubeln, kann ich verstehen, dass auch Benjamin kapituliert. Schöngeister hatten spätestens im real existierenden doch eher keine Heimat mehr. Und auch in der Theorie ist meines Wissens auch alles verdächtiger Tranquilizer was nach Transzendenzund Schönheit aussieht und nach Kult riecht.
mspro (Gast) - 18. Dez, 01:08
Vielleicht ist das ganz gut so, daß Benjamin weder die DDR noch die BRD miterleben musste. Die BRD hätte er gehasst und um die DDR hätte er geweint.
Webcat72 - 18. Dez, 11:41
... wie so viele, die gern dran glauben würden, dass Menschen die an einem Strang ziehen mehr erreichen können, als jeder für sich alleine ...
mspro (Gast) - 17. Dez, 13:32
ach ja und 40something hat recht. Der Link auf mich geht nicht, weil die URL MYmspro.blogspot.com ist und nicht mspro.blogspot.com.
Webcat72 - 17. Dez, 16:18
so, danke!! jetzt müsste es klappen. Gottseidank hab ich den wichtigsten Teil eh im Text. An Mspro: ist ja ein echter Schlusskorrektoren-Härtetest mit myms und ms :-) (Eindeutig zu hart für mich. Früheres Zitat eines meiner Praktikumsbosse "Recherche, Schreibe prima" ... weiter "aber als Schlussredakteurin wärst Du mein Alptraum. Hinschaun is nich, oder - weisst ja was dort steht !?" ;-)
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